Die Brücke - ein Dialog aus zwei Worten aus zwei Religionen - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Women + Work Schalom Aleikum



AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 10.09.2014


Die Brücke - ein Dialog aus zwei Worten aus zwei Religionen
Mara und Yola

Mara und Yola, beide 19, zwei junge Frauen aus Berlin, wurden durch das Projekt Schalom-Aleikum freundschaftlich zusammengebracht. Von Politik zur Kunst.




Mara:

Was ich will und vorhabe? Etwas erleben!
Und was? So ziemlich alles, denke ich. Alles worauf ich jemals Lust haben werde und vielleicht noch mehr.



Und momentan ist das wohl dieses Projekt.
Auch wenn ich ehrlicherweise nicht ganz selbst drauf gekommen bin.
Anfangs war ich mir nicht sicher ob ich das Projekt wirklich machen will,
da mich diese ewigen Diskussionen über die derzeitige Situation zwischen Gaza und Israel, zwischen Leuten, die eh nur ihre eigene Partei vertreten und nur so tun als würden sie die Situation aus zwei Blickwinkeln betrachten, nerven.
Am Ende steht man da, wo man angefangen hat und beharrt noch mehr auf seiner Meinung, einfach aus Protest.

Es ist natürlich normal dass man für seine Religion und "sein Land" Partei ergreift,
jedoch haben die meisten einfach nicht genug Ahnung um dies zu tun ohne dass es gleich viel zu extrem rüberkommt. Die meisten leben in Gesellschaften wo nur eine extreme Meinung vertreten wird und so brüten sie den Hass.

Auf meiner Facebook-Startseite sehe ich momentan nur noch Posts, die die Nachricht vermitteln: Gaza ist schuld, Israel ist das Opfer. Durch Yola, meine Projektpartnerin, erfuhr ich, dass genau die gleichen Posts in ihrem Freundeskreis rumgingen, jedoch genau andersherum: Israel ist schuld, Gaza ist Opfer.
Die Videos und Texte, die beide Ansichten vertreten, sind meist nicht sehr politisch komplex, sondern eher ganz einfach gestrickt.
Viel zu einfach, würde ich sagen, und ich wundere mich über die Naivität der Menschen.

Dieses Projekt soll dazu verhelfen, beide Perspektiven zu beleuchten und aus der jeweils eigenen parteiischen Gesellschaft herauszukommen. Einmal objektiver an das Thema heranzugehen und die "Pro-Israel" und die "Pro-Palästina" Seiten in persönlichen Kontakt miteinander zu bringen.

Mein Name ist Mara Noomi, ich bin 19 Jahre alt. Ich will mich nicht groß beschreiben, denn das tun die ersten beiden Zeilen vielleicht am besten.



Nun über den Anfang des Projekts, Bevor unser Projekt richtig beginnen konnte und schon vor meinem ersten Treffen mit Yola, kam die Frage auf, ob dieses Projekt überhaupt so mit uns beiden stattfinden könnte. Denn ein paar Tage vor unserem ersten gemeinsamen Treffen erhielt ich einen Anruf von Yola. Bei dem Telefonat stellte sich heraus, dass Yola zurzeit einen inneren Konflikt durchmachte, welcher auf der Frage basierte ob sie sich mit der Teilnahme an dem Projekt in dieser brisanten politischen Situation zu stark positionieren würde.

Am Anfang wusste ich nicht recht was ich sagen sollte, schließlich war es ihre Entscheidung, allerdings wollte ich sie schon davon überzeugen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche. Im Gegenteil, denn im Projekt geht es weder darum, eine der beiden Seiten als "Helden" und die andere Seite als "Täter" darzustellen. Ich erinnerte sie daran, dass sie mit der Teilnahme an diesem Projekt ein Vorbild für so viele sein könnte, die stumpf die Ansicht ihres Landes vertreten und nicht für den Frieden kämpfen. Aber genau das will Yola ja.

Wir verabschiedeten uns mit dem Versprechen, dass das erste Treffen erst einmal stattfinden würde, und dass Yola sich die Sache noch einmal überlegen würde.
Nach einem weiteren Gespräch mit den Leiterinnen des Projekts entschied sich Yola, weiterhin mitzumachen.

Das erste Treffen war ziemlich unterhaltsam, Yola und ich sahen uns das erste Mal, zuvor schrieben wir nur und telefonierten einmal.
Wir stellten einige Gemeinsamkeiten fest und vergaßen zwischendurch immer wieder, welches Thema uns ursprünglich zusammengebracht hatte.
Wir unterhielten uns über Musik, Schauspiel und Filme, zum Schluss gingen wir sogar gemeinsam ins Kino.

Insgesamt war ich vom Treffen sehr positiv überrascht, wir haben auch schon weitere Pläne, für ein gemeinsames Kunstprojekt, geschmiedet.



YOLA

Das erste Treffen mit Mara


Mara und ich sind im selben Alter. Ich denke, wenn wir uns außerhalb des Projekts kennen gelernt hätten, wäre Religion sicher nicht unser erstes Gesprächsthema geworden. So hielt es die ersten 10 bis 20 Minuten an. Doch dann haben wir uns ausgetauscht über Filme. Wir haben uns gegenseitig neugierig gemacht auf Filme, die wir beide noch nicht kannten.

Als ob es Schicksal gewesen wäre, dass in diesem Moment, Maras Mutter uns fragte, ob wir nicht Lust hätten, an diesem Abend gemeinsam ins Kino zu gehen, denn sie habe zwei Kinogutscheine.

So haben wir uns gemeinsam auf den Weg gemacht und uns Verstärkung gekauft. Chips, Limonade und Schokolade durften für uns beide nicht fehlen. Auf dem Weg haben wir uns über Musik unterhalten und festgestellt, dass wir denselben Musikgeschmack und die Vorliebe für das Schauspielern teilen. Im Rahmen des Projekts " Schalom Aleikum" haben wir uns gedacht ein Kunstprojekt zu machen. Wir hatten uns so viel zu erzählen, dass unser Gespräch auch während des Films anhielt – natürlich ganz leise. Zuletzt, auf dem Nachhauseweg, ging es schließlich um unsere Kulturen und Mentalitäten, was ich ziemlich bereichernd fand. Unsere Verabschiedung gab uns beiden das Gefühl, uns schon lange zu kennen.

Ich heiße Yola Ramadan und bin 19 Jahre alt. Meine Muttersprachen sind deutsch und arabisch. Meine Eltern kommen ursprünglich aus dem Libanon und ich bin in Berlin geboren. In meiner Freizeit schreibe ich Gedichte und mache Sport.

Warum mache ich am Projekt Schalom Aleikum mit?

Meine ehemalige Schule, das Heinrich-von-Kleist Gymnasium in Moabit, war vor dem Zweiten Weltkrieg ein jüdisches Mädchen-Gymnasium. Neben meiner ehemaligen Schule steht heute eine große Gedenktafel mit den Namen der ermordeten jüdischen Schüler und Bewohner Moabits. Neben der Tafel steht außerdem noch ein rostiger Eisenbahnzug und im Boden sieht man noch rostige Schienen. Dieses Bild prägt mich, weil ich vier Jahre die Schule besucht habe. Und anlässlich der Schultradition des Gedenktages der Judenverfolgung durften wir Schüler damals jedes Jahr entscheiden ob wir einen Film zu diesem Thema anschauen oder am Gedenkmarsch für die ermordeten Juden teilnehmen wollten.

Obwohl ich meine ehemalige Schule als "multi-kulti" bezeichnen konnte, hatte ich dennoch bisher keine Juden oder Jüdinnen persönlich kennen gelernt. Nach der 11.Klasse wurde meine Schule mit dem Menzel Gymnasium zusammengelegt. In meiner neuen Schule habe ich mich zuletzt mit den monotheistischen Weltreligionen bezüglich meiner Abiturprüfung befasst. Für diese Prüfung konnte man sich selbst das Thema aussuchen. Da mich das Thema Religion schon immer sehr interessiert, habe ich im Rahmen des Fachs Darstellendes Spiel und Politik mich mit dem Drama "Nathan der Weise" beschäftigt. Das Thema habe ich ausgesucht, weil mich die humanitären Werte der Religionen interessieren, die im Grunde genommen dieselben sind wie im Islam, Judentum und Christentum. Das Drama handelt von einem reichen und weisen Juden namens Nathan. Am Ende des Dramas schafft es Nathan, drei Figuren aus dem Judentum, Christentum und dem Islam von der engen Verwandtschaft zu überzeugen.



Ich selbst bin Muslima.
Meine Religion lehrt mich in vielen Dingen wie Weisheit, innere Ruhe, Geduld und Nächstenliebe. Meiner Meinung nach wird aber die Schönheit des Islams im Zuge der Nachrichtenpropaganda ins Negative gerückt. Dabei werden viele unschuldige und friedliche Muslime in eine Schublade der Islamisten und der Fanatiker gesteckt. Aber genauso sieht es aus mit dem Judentum.
Ich habe in der letzten Zeit mit vielen Menschen über die Lage des Gaza-Israel Konflikts diskutiert. Man kann nicht die Juden mit der israelischen Regierung gleichsetzen. Es gibt viele jüdische Mitbürger, die für ein gemeinsames Zusammenleben oder auch für eine Zweistaaten-Lösung sind.

Als ich klein war, hat mir meine Mutter ein arabisches Sprichwort beigebracht, worin es heißt, dass nicht alle deine Finger deiner Hand gleich aussehen, im wörtlich übersetzt "die Finger nicht gleich lang sind". Damit hat sie mir beigebracht, dass nicht jeder Mensch aus einer Nation gleich so sein muss wie man es aus seinen Vorurteilen erwartet. Im Grunde genommen habe ich aus dem Sprichwort gelernt, dass wir alle Individuen sind, die unterschiedlich denken, reden und handeln. Deshalb kann man nicht jeden Menschen mit Vorurteilen begegnen. Deshalb danke ich auch meiner Mutter für meine Erziehung. Denn es ist die Erziehung, die auch erheblichen Einfluss auf uns, unseren Horizont und unser Verhalten hat.

Ich bin glücklich, eine Muslima zu sein. Aber damit meine ich nicht, dass das Judentum oder das Christentum falsche Religionen sind. Ich liebe die Gemeinsamkeiten wie die humanitären Werte der unterschiedlichen Religionen und toleriere und akzeptiere die Unterschiede.
Durch die Lektüre von "Nathan der Weise" wurde mir bewusst, dass die Religion Menschlichkeit bedeutend und wertvoll macht, weniger die Identifikation und Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einer Religion. Davon abgesehen, teilen sich die drei großen Religionen einen Gott!

Als Pazifistin würde ich gerne innerhalb des Mädchen - Dialogprojektes "Schalom Aleikum" den Frieden fördern, indem ich die Barrieren zwischen Muslimen und Juden öffne und ein jüdisches Mädchen kennen lernen. Ich denke, dass ich durch "Nathan der Weise" genug über Toleranz, Akzeptanz und Humanität gelernt habe. Ich kann schon von mir behaupten, dass mich die Beschäftigung mit dem Drama meine interkulturelle Kompetenz gefördert hat.

Denn trotz der politisch heiklen Situation im Israel – Gaza Konflikt habe ich mich entschieden, am Projekt Schalom Aleikum teilzunehmen, denn das Projekt ist nicht politisch orientiert. Die Absicht des Projekts ist es, gesellschaftliche Barrieren bezüglich des Rassismus und der Andersartigkeit abzubauen, um nach und nach Vorurteile beseitigen zu können. Eigentlich genau das, was ich von Nathan gelernt habe. Das Projekt fördert also Toleranz und die Entdeckung von Gemeinsamkeiten durch Dialog.



Auf den ersten Blick, dachte ich, dass das Projekt hauptsächlich religiöse Inhalte thematisiere. Bei näherem Hinschauen überzeugte mich aber die Idee, dass nicht die Religion oder Kultur, sondern persönliche Interessen und Hobbies im Vordergrund stehen sollten um schließlich festzustellen: "hey so unterschiedlich, sind wir doch nicht?!" Außerdem erhoffe ich mir, vielleicht eine Freundschaft zu gewinnen und gemeinsame Interessen zu entdecken, oder einfach die andere Kultur kennen zu lernen.

Das Projekt "Schalom Aleikum":

Mir gefällt der Name des Projekts. Schalom kommt aus dem Hebräischen und bedeutet Frieden. Aber auch die islamische Grußformel Salam Aleikum beinhaltet das arabische Wort Salam, was auch Frieden bedeutet. Auch die aktuelle Situation im Gaza-Israel Konflikt hat mich dazu gebracht die gegenseitige Anspannung aber auch den Willen zum Frieden, also die Annäherung, in einem Gedicht darzustellen. Das Gedicht heißt deshalb auch "Ich geh auf die Brücke." Dabei soll auch die Annäherung zwischen Mara und mir gezeigt werden. Mara ist das jüdische Mädchen, das ich innerhalb des Projekts Schalom Aleikum kennen gelernt habe.


Ich geh auf die Brücke ...

Und seh dich auf der anderen Seite

Ich seh dich starr an,

Ich taste mich mit einem Schritt heran

Ich verspürte in mir ein Wille ...

Doch dann überkam mich eine merkwürdige Stille

Mir fehlt einfach der Mut

Doch es kocht einfach die Wut ...

Aber Geduld...

Denn daran bist du doch nicht Schuld

Lauter Fragen und Antworten kreisen in mir

Und sicherlich auch in dir...

Kummer und Sorgen -

Wird es aufhören morgen?

Wenn wir uns bekriegen,

wird der Frieden niemals zwischen uns siegen!

Ich traute mich also auf die Brücke ...

Und sah dich auf der anderen Seite

Und deine Hand war mir in Reichweite

Hass, Trauer und Wut

Mir fehlte die Liebe und der Mut!

Ich stand nun auf der Brücke ...

Und sah dich auf der anderen Seite

Und deine Hand lag mir in Reichweite

Doch ich wandte mich von dir

Ich dachte mir
was machst du hier?

Ich spürte auf meinen Rücken deine Hand

Und ich hörte dich sagen – wie konntest du dich nur wagen?

Siehst du nicht, dass Macht und Geld brachten zwischen uns eine Wand?

Und deshalb traust dich nicht mir zu geben deine Hand?

Mit der Zeit

Wird der Horizont Weit

Und mit der Zeit
Entwickelt sich aus Toleranz eine sogenannte Resonanz....

Uns fehlt also Akzeptanz!

Mut fürs Versöhnen,

Mut um uns aneinander zu gewöhnen

Und Liebe

um uns in die Augen zu schauen!

Liebe um nicht gegeneinander zu bauen.

Die Vorurteile wurden in mir leiser
Wird gerade mein Sichtfeld breiter?

Ihre Worte brachten mich zu denken

Deshalb traute ich mich nicht mein Blick zu senken

Also drehte ich mich wieder um

Und du sagtest mir leise Schalom

Und ich dir nuschelnd zurück auf Arabisch Aleikoum

Und so begann ein Dialog aus zwei Worten aus zwei Religionen

Frieden mit dir!
Schalom Aleikum!




Copyright Text: Mara Noomi Adler und Yola Ramadan
Copyright Fotos von Mara Noomi Adler und Yola Ramadan im Studio: Sharon Adler
Copyright Fotos von Mara Noomi Adler und Yola Ramadan: privat


Women + Work > Schalom Aleikum

Beitrag vom 10.09.2014

AVIVA-Redaktion